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Doktorarbeit

Untersuchungen zum Mechanismus der anionischen Polymerisation von Methacrylaten und Acrylaten in Gegenwart von sigma/µ-Liganden

Andreas Maurer (01/1999-01/1999)

Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Zusammenfassung

Die anionische Polymerisation von Methylmethacrylat mit Lithium als Gegenion verläuft in Toluol in Gegenwart von Alkoxyalkoxiden sehr schnell (t1/2 < 1 s) und kann nur unter Verwendung eines Strömungsrohr-Reaktors kontrolliert werden. Die hohe Reaktionsgeschwindigkeit deutet auf eine starke Koordination des Additivs mit dem lebenden Kettenende hin. Trotzdem hängen die Polymerisationsergebnisse stark vom dem verwendeten Initiator/Alkoxyalkoxid-System ab.

Mit Esterenolaten als Initiatoren (z. B. Ethyl-a-lithioisobutyrat, EiBLi) und Lithium-2-methoxy­ethoxid (LiOEM) als Additiv werden selbst für hohe Additiv/Initiatorverhältnisse (r = 10) multimodale Molekulargewichtsverteilungen mit einem hohen Anteil an Oligomeren erhalten (Mw/Mn £ 6), was auf verschiedene aktive Spezies im Polymerisationssystem schließen läßt. Die Zeit-Umsatz-Auftragungen nach erster Ordnung sind im Temperaturbereich -25 °C < T < +25 °C sämtlich linear, weisen jedoch eine von der Temperatur abhängige Induktionsperiode auf. Die Auftragung des Zahlenmittels des Polymerisationsgrades gegen den Umsatz ist gekrümmt, was auf die Induktionsperiode zurückgeführt wird, erreicht jedoch bei vollem Umsatz den Wert der Theorie, so daß sich vollständige Initiatoreffektivität ergibt.

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C- und 6Li-NMR-Untersuchungen an EiBLi als Modell der lebenden Polymerkette und LiOEM in Toluol-d8 weisen auf mehrere Aggregate der Reinkomponenten hin. NMR-Untersuchungen an Mischungen von EiBLi und LiOEM zeigen, daß es zur Ausbildung von Komplexen kommt, wobei die jeweiligen Spezies mit steigendem Additivgehalt eine Zunahme der Ladung am a-Kohlenstoff (dem reaktiven Zentrum) zeigen. Die Temperatur hat keinen Einfluß auf die NMR-Verschiebungen, d.h. bei gegebenem Additiv/Initiatorverhältnis liegen stets die gleichen Spezies vor. Mit steigender Temperatur wird im 13C- und im 6Li-NMR-Spektrum Koaleszenz beobachtet, was auf einen schnelleren Austausch zwischen den Spezies bei höheren Temperaturen schließen läßt. Quantenmechanische Berechnungen bestätigen, daß eine Komplexbildung zwischen Additiven und Esterenolaten zu stabileren Strukturen als die entsprechenden Reinkomponenten führt.

Die anionische Polymerisation von MMA mit 1.1-Diphenylhexyllithium (DPHLi) als Initiator ermöglicht dagegen eine kontrollierte Reaktion ab einem Verhältnis von LiOEM zu DPHLi gleich fünf. Bei tiefen Temperaturen werden linare Zeit-Umsatz-Auftragungen nach erster Ordnung und lineare Auftragungen des Zahlenmittels des Polymerisationsgrades gegen den Umsatz erhalten. Es handelt sich demnach um eine lebende Polymerisation. Es werden hoch-syndiotaktische Polymere (rr » 80 %) mit einer Polydispersität von D < 1.1 gebildet. Die Initiatoreffektivität berechnet sich zu f = 0.6. Es handelt sich um eine Reaktion erster Ordnung bezüglich der Konzentration an lebenden Polymerketten und bezüglich der Monomerkonzentration. Es zeigte sich, daß die Ergebnisse von der Vormischzeit des Additivs und des Initiators abhängen - bei langen Vormischzeiten wird ein Niederschlag in der Initiatorlösung gefunden und die GPC-Eluogramme zeigen eine Oligomerfraktion - und daß THF die Initiatoreffektivität erhöht, ohne die Kinetik zu beeinflussen.

Bei höheren Temperaturen werden gekrümmte Zeit-Umsatz-Kurven nach erster Ordnung gefunden, was sowohl auf Abbruch zurückgeführt wird (MALDI-TOF-MS-Spektren), als auch auf eine Gleichgewichtsverschiebung im System. Dies zeigt sich unter anderem auch durch die Arrhenius-Auftragung, die zu höheren Temperaturen abknickt, d.h. die Wachstumsgeschwindig­keiten nehmen mit steigender Temperatur ab.

Zur Erklärung der experimentellen Beobachtungen wird ein kinetische Modell vorgeschlagen, bei dem eine durch Initiierung zunächst gebildete aktive Spezies im Gleichgewicht steht mit einer weniger oder inaktiven Spezies. Das System befindet sich aber gleich nach der Initiierung nicht im Gleichgewicht; dieses Stellt sich vielmehr erst während der Polymerisation langsam ein. Der Bruchteil der aktiven Spezies im Gleichgewicht sinkt mit steigender Temperatur. Gleichzeitig findet unimolekularer Abbruch durch Backbiting statt.

Mit diesem Modell ist eine Anpassung der experimentellen Daten möglich. Die kinetischen Konstanten sind dabei durchweg als apparent zu betrachten, da sowohl die Zahl der tatsächlich aktiven Ketten bei höherer Temperatur nicht bestimmt werden kann und offen bleibt, ob die Gleich­gewichtsverschiebung unimolekular verläuft. Unabhängig von dem kinetischen Modell ergibt sich aus der Extrapolation der Daten bei tiefen Temperaturen eine Aktivierungsenergie von 27 kJ/mol.

Die Polymerisation wurde ferner mit lebenden Polymerketten als Initiatoren gestartet, d.h. es wurde ein PMMA-b-PMMA hergestellt. Die Kinetik ist vollkommen unterschiedlich zu den Ergebnissen mit EiBLi als Initiator, was ein direkter Beweis dafür ist, daß die lebende Polymerkette im Vergleich zum Modell des lebenden Kettenendes unterschiedlich aggregiert vorliegt, bzw. daß die Aggregation der Spezies abhängig von der Kettenlänge ist.

Ferner wurde Trimethylsilylmethyllithium (TMSMLi) als Initiator verwendet. Es konnte gezeigt werden, daß auch mit diesem Initiator ein Verhältnis von r = 5 notwendig ist, um zumindest bei tiefen Temperaturen eine lebende Polymerisation zu erhalten.

Aufgrund der allgemein unterschiedlichen Ergebnisse in Abhängigkeit von dem verwendeten Initiator und der Gleichgewichtsverschiebung bei der Verwendung von DPHLi, wird davon ausgegangen, daß für den Mechanismus mehrere aktive Spezies verantwortlich sind, die im Gleichgewicht vorliegen. Dabei entscheidet der verwendete Initiator wie weit man von dem Gleichgewicht entfernt ist. Wird mit EiBLi initiiert, so liegt man auf der Seite der höher aggregierten Spezies, worauf der Vergleich mit der Initiierung mit lebenden Polymeren schließen läßt. Mit DPHLi als Initiator liegt man auf der Seite der weniger aggregierten Spezies, so daß bei tiefen Temperaturen vollständiger Umsatz erreicht bevor sich das Gleichgewicht einstellen kann. Mit TMSMLi als Initiator liegt man näher am Gleichgewicht, vermutlich aufgrung höherer Aggregation gegenüber DPHLi. Gleichgewichtseinstellung und Polymerisationsgeschwindigkeit sind vergleichbar, sodaß bei tiefen Temperaturen zunächst noch unimodale, bei Raumtemperatur aber schon bimodale Verteilungen gefunden werden.

Desweiteren wurde ein neues cyclisches Alkoxyalkoxid (Lithium-Tetrahydrofurfurylat, LiOMT) gefunden, was in Kombination mit TMSMLi schon bei einem Verhältnis von r = 2 zu einer kontrollierten Polymerisation von MMA führt.

Schließlich konnte gezeigt werden, daß mit Hilfe der Alkoxyalkoxide als Additive, sogar eine lebende Polymerisation von Acrylaten (n- und tert-Butylacrylat) bis zu Temperaturen um T = 0 °C in reinem Toluol möglich ist. Dabei zeigte sich, daß LiOMT als Additiv mit TMSMLi als Initiator die beste Kombination darstellt, mit der PnBuA in enger Molekulargewichtsverteilung (D < 1.1) und hohen Initiatoreffektivitäten (f = 0.75) dargestellt werden kann. Der Mechanismus scheint aber auch hier durch mehrere Spezies und eventueller Gleichgewichtsverschiebung geprägt zu sein, wie die Abhängigkeit der Ergebnisse vom verwendeten Initiator und die bei höheren Temperaturen unbefriedigende Anpassungen der kinetischen Daten zeigen.

Desweiteren ist es mit Alkoxyalkoxiden als Additiven möglich PMMA-b-PnBuA-Block­copolymere mit enger Molekulargewichtsverteilung (D < 1.3) und hoher Blockeffektivität bei Temperaturen um T = 0 °C zu synthetisieren.

Alkoxyalkoxide stellen sehr wirkungsvolle Additive zur Polymerisation von (Meth)Acrylaten dar, die eine kontrollierte Polymerisation in Toluol bei Temperaturen um T = 0 °C ermöglichen. Damit ist ein weiterer Schritt gelungen, um in Zukunft mit Hilfe der anionischen Polymerisation gezielte Morphologien (Blöcke, Kämme, Sterne), die (Meth)Acrylatsegmente beinhalten, zu synthetisieren. Dabei besteht die Möglichkeit, daß das System großtechnisch eingesetzt wird, aufgrund der einfachen Handhabung und der niedrigen Kosten.

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